Musical „Der kleine Prinz“: Blondschopf mit Talent zum Fragen

DARMSTADT – Der kleine Prinz singt: Die Sängerin Deborah Sasson hat gemeinsam mit Jochen Sautter eine Musicalfassung des literarischen Klassikers von Antoine de Saint-Exupéry geschrieben. Das Gastspiel im Darmstadtium bereitete dem Publikum Vergnügen.

Nach der Pause fängt die pulsierende Musik die Aufmerksamkeit wieder ein. Aber man sieht nichts außer einem riesigen Erdball. Der blaue Planet rotiert, und das Symbol ist klar: Hier geht es ums große Ganze, um den bedrohten Planeten und auch um die Menschen, die ihm zusetzen. Das lehrt ein Wesen, das die Gabe hat, die Welt von außen zu betrachten: Mit dem „Kleinen Prinzen“ schuf Antoine de Saint-Exupéry einen literarischen Welterfolg, weil seine Botschaft der Wahrhaftigkeit die sehnsüchtigen Fragen einer verunsicherten Gesellschaft beantwortete. Man kann diese Botschaft für sehr tief oder sehr banal halten. In jedem Fall aber ist sie so universal, dass man in dem Stoff immer wieder aktuelle Anknüpfungspunkte finden wird. Aber mit modernen Anspielungen strapazieren Deborah Sasson und Jochen Sautter ihr Publikum nicht über Gebühr. Sie haben aus dem Stoff ein Musical gemacht, Sasson hat die gefällige Musik geschrieben, Sautter die Texte, und er führt auch Regie bei der Tournee-Produktion, die vor wenigen Wochen erst Premiere hatte und am Samstagabend im Darmstadtium gastierte.

Dem Team, das schon mit einer eigenen Fassung des „Phantoms der Oper“ erfolgreich war, ist eine unterhaltsame Bebilderung der Geschichte gelungen, die im gut besuchten Kongresszentrum mit großem Beifall aufgenommen wurde. Man sieht nur mit dem Herzen gut: Die berühmte Weisheit, die der Kleine Prinz von einem springlebendigen Fuchs (Johanna Mucha) bezieht, ist auch ein guter Rat für die Besucher, wenn sie den Charme dieses Abends entdecken wollen. Die Produktion ist so angelegt, dass sie in Häusern fast jeder Größe gespielt werden kann. Das Bühnenbild kommt mit wenigen Requisiten aus und arbeitet geschickt mit Videoprojektionen, die beim Ballett der tanzenden Rosen sogar mit einer hübschen Verschmelzung von Bild und Körper überraschen.

So raffiniert geht es in dieser Inszenierung nicht immer zu. Die Regie hat Mut zur Naivität. Sie nimmt die staunende Perspektive des namenlosen Titelhelden ein, die sinnfällige Verkettung der Episoden ist ihr wichtiger als optischer Firlefanz, auch wenn sie dabei mal Augenblicke riskiert, in denen die Spannung durchhängt. Dazu ist Deborah Sassons Komposition bestrebt, die Geschichte nicht zu verkünsteln, sondern in angenehmen Melodien voranzutreiben.

Die dirigierende Geigerin Aleksandra Kulpa wechselt beständig Bogen und Taktstock, um ein kleines Ensemble straff zu organisieren und selbst ein paar Klang-Glanzlichter obendrauf zu setzen. Das gelingt ziemlich abwechslungsreich, kann mal barockisierend klingen, mal ein ruppiges Klanggewitter entfachen und auch rockige Töne finden, wenn der Prinz von seinem Affenbrotbaum erzählt. Insgesamt aber schlägt die Musik einen melancholischen Ton an, und das passt ja auch gut zur kammerspielartigen Anlage des Stückes, das den Kleinen Prinzen die Erdenwelt vor allem in Dialogen erkunden lässt und nur wenige größere Ensembleszenen formt.

Moritz Bierbaum gibt dem staunenden Außerirdischen eine blitzsaubere Stimme, die auch Sopranhöhen erklimmt. Aber weil der kleine Prinz mehr zuschaut als agiert, gehören die wirkungsvolleren Auftritte den schrägen Gestalten, denen der Blondschopf begegnet, auch wenn sie die unerfreulichen Seiten des Lebens vertreten. Michael Chadim tanzt als Torero einen flotten Eitelkeits-Tango, Ari Gosch sucht als König vor allem den Gehorsam seiner Untertanen und spielt auch den schrulligen Geographen, Daniel Hauser schwärmt als Geschäftsmann von der Macht der Zahlen, während Börsenkurse über die Bühne flimmern. Pascal Jounais verspricht als Pillenhändler das Glück aus der Dose, Jonas Wichmann lässt das Dilemma des Alkoholikers durchdringend aus der Säuferkehle tönen – er trinkt, weil er sich schämt, und schämt sich, weil er trinkt. Der Pilot, der sich in der Wüste mit dem Prinzen anfreundet und dessen Geschichte erzählt, ist bei Benoit Pitre eine markante Erscheinung, die das Lob des kindlichen Blicks in sanften Tönen singt.

Überhaupt ist das Ensemble mit guter Laune bei der Sache, Isabel Waltsgott turnt als Laternenanzünder ein paar Step-Schritte auf die Bühne, und Nicole Ciroth singt sogar, wenn sie kopfunter in der Schaukel hängt, was für die Rolle der Schlange von großem Vorteil ist. Sie ist es, die den Prinzen per Giftbiss auf die weite Rückreise schickt. Es dürfte nicht sein letzter Ausflug gewesen sein.

Von Johannes Breckner 03.01.2016 Echo online