Der kleine Prinz“ als Musical überzeugt das Publikum

Ein großes Musical für den kleinen Prinzen macht im Graf-Zeppelin-Haus Friedrichshafen das Wesentliche sichtbar.

Kann ein Zeitungstext den Zauber wiedergeben, den ein Musical gewordenes weltbekanntes Kunstmärchen erzeugt? Bezeichnungen wie „musikalische Bühnenfassung“ oder „für die Musicalbühne adaptierte Geschichte“ sind nicht nur unzureichend, sondern geradezu irreführend rational. Sie können allenfalls das beschreiben, was äußerlich betrachtet wie die Strichzeichnung eines Hutes aussieht. Der von einer Boa verschlungene Elefant entsteht vor dem inneren Auge und zeigt, wie sehr die Fantasie gebraucht wird, um die Welt in ihrer Komplexität zu verstehen. Schon in diesem ersten Bild steckt die wohl bekannteste Botschaft des kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry aus dem Jahr 1943: Man sieht nur mit dem Herzen gut.

900 Menschen lassen sich im Hugo-Eckener-Saal des Graf-Zeppelin-Hauses auf die Reise des abgestürzten Piloten mitnehmen, dem ein Motorschaden die Begegnung mit dem kindlichen Prinzen in der Wüste beschert. Auch er ist weit weg von zu Hause. Er vermisst seinen kleinen Heimatplaneten mit den drei Vulkanen und den traumhaft schönen 40 Sonnenuntergängen. Er sorgt sich um seine einzigartige Rose, die seine ganze Aufmerksamkeit forderte und von der er sich überfordert fühlt. „Ich bin einfach zu jung, ich weiß noch nicht, wie man liebt.“ Während der Pilot mit der Reparatur beschäftigt ist, begibt sich der kleine Prinz auf die Suche nach einem Freund. Er trifft auf den Geografen, den Geschäftsmann, den Eitlen, den Säufer, den Laternenanzünder, den König und die Schlange, die ihm Erlösung aus der Einsamkeit verspricht. Dann lernt er den Fuchs kennen, der sich von ihm zähmen lässt. „Zähmen, das bedeutet, sich vertraut machen. Du bist zeitlebens verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast. Was zählt auf dieser Welt, ist das, was man liebt.“ Diese großartige kleine Geschichte mit ihrer klugen Poesie wurde von Jochen Sautter in ein Libretto gefasst und von Deborah Sasson in Musik übersetzt. Jede Szene wird von passenden Melodien getragen. Der eitle Torero stolziert im Flamenco-Takt, die Schlange windet sich in orientalischen Bauchtanzklängen mit fulminantem Hardrock-Ausklang, und der König wird von Marschmusik begleitet. Die neun Mitglieder des Orchesters wurden im Mai 2015 ebenso wie die Darsteller eigens für dieses Musical gecastet. Unter dem Dirigat von Aleksandra Kulpa, die auch die erste Geige spielt, begeistern Violinen, Viola, Cello, Keyboard, Piano, Klarinette, Flöte, Saxofon, Akusitik-, E- und Bassgitarre sowie Schlagzeug das Publikum. Auf der Bühne lassen die sorgfältig für die jeweiligen Rollen ausgewählten Künstler die Figuren lebendig werden. Der Pilot wird vom Bariton Benoit Pitre verkörpert. Sein franco-kanadischer Akzent darf als schöne Hommage an Saint-Exupéry verstanden werden. Isabel Waltsgott gibt dem kleinen Prinzen ihre glockenhelle, knabenhafte Stimme und spielt ihn hinreißend und überzeugend. Dies gilt uneingeschränkt für alle Darsteller, wobei besonders das akrobatische Geschick von „Schlange“ Nicole Ciroth hervorzuheben ist, die auch im Handstand mit sicherer Stimme singt. Die Kostüme passen ebenfalls hervorragend zu den Figuren. Der kleine Prinz beispielsweise erscheint im blauen Mantel mit rot-goldenen Aufschlägen über Hemd und Hose, die seidig weiß schimmern sowie braunen Stiefeln an den Füßen und einer strohblonden Perücke auf dem Kopf. In Szene gesetzt, umrahmt oder vielleicht gar gekrönt wird die stimmige Inszenierung von einer interaktiven Hightech-Videoanimation. Mittels spezieller transparenter Vorhänge werden verschiedene Ebenen suggeriert, auf denen in 3D-Manier durchs All geflogen wird, Urwälder entstehen, eine Karawane durch die Wüste zieht, Blitz und Donner sich im Saal entladen und Vögel sich zu Adlerschwingen auf dem Rücken des kleinen Prinzen formieren.

Wenn am Ende des Stückes der kleine Prinz den Tod durch den Biss der Schlange wählt unddie eine oder andere Träne in den Zuschaueraugen glitzert, dann ist dies dem wunderbaren Zusammenspiel von Menschen und Technik zu verdanken. Minutenlanger Applaus, unterlegt mit Pfiffen der Begeisterung, zeigen das Entzücken des Häfler Publikums. Draußen vor dem GZH blinken die Sterne am klaren Nachthimmel über dem Bodensee. Einer davon leuchtet ganz besonders hell.

09.01.2016 Südkurier GUDRUN SCHÄFER-BURMEISTER